[IMG REVIEWS=200,right]http://www.etudiants.phy.ulaval.ca/~pystl/Refused/Shape.jpg[/IMG REVIEWS]Refused - The Shape Of Punk To Come (1998 )
Genre:
Hardcore + x
Länge:
55:11 min
Tracklist:
1. Worms of the Senses / Faculties of the Skull 2. Liberation Frequency 3. The Deadly Rythm 4. Summerholidays Vs. Punkroutine 5. Bruitist Pome #5 6. New Noise 7. The Refused Party Program 8. Protest Song '68 9. Refused Are Fuckin Dead 10. The Shape Of Punk To Come 11. Tannhäuser / Derivé 12. The Apollo Programme Was A Hoax
Anspieltipps:
New Noise, The Deadly Rythm, Refused Are Fuckin Dead
Hörproben im Netz
Refused - The Shape Of Punk To Come (Amazon.de)
Zu empfehlen für Fans von:
Hardcore, Stilmixen harter Musik, Überdentellerrandgucker
Review:
Es gibt mindestens drei Wege, dieses Album gehört zu haben. Man könnte z.B. ein Anhänger der Straight-Edge-Philosophie sein (was das im Detail bedeutet und was es zu einer Lebensphilosophie macht, können wohl am besten dermaßen veranlagte Leute selbst adäquat erklären). Dieses Dasein gepaart mit einer Zuneigung zu harter Musik wird wohl in einigen Fällen das Zusammentreffen mit dieser Band bzw. diesem Album verursacht haben. Möglich (wenn auch in diesem Forum eher unwahrscheinlich) ist es auch, daß man 1998 "New Noise" als Single an den Kopf geknallt bekam und dann hohe Erwartungen innehabend zum CD-Laden rannte um noch mehr "New Noises" in Form dieses Album zu ergattern. Alternativ ist es auch denkbar (und wohl wahrscheinlicher), daß man "New Noise" einfach kennt und dann sich im Internet entsprechend zu Schaffen gemacht hat. Der dritte Weg ist aber ganz einfach, daß man ein wenig über den Tellerrand hinausblicken wollte und dann eine der oben stehenden Möglichkeiten ausgenutzt hat.
Es gibt jedoch sehr viel mehr als drei Gründe, dieses Album zu hören. Was Refused, eine schwedische Hardcore-Band der 90er, hier erschaffen haben und selbstbewußt "The Shape Of Punk To Come" (etwa: "Die Gestalt des Punks in der Zukunft") nennen, ist eine gelungene Melange aus verschiedenen Stilen, die in konventionellen Denkstrukturen normalerweise nicht zusammengehören. Das wird schon deutlich daran, daß das Album nicht "The Shape Of Hardcore To Come" heißt, sondern eben "Punk". Das jedoch ist eine nette Untertreibung, denn obwohl natürlich viele Elemente des Punks, beispielsweise seine entwaffnende Einfachheit und Wirkung sowie seine leicht singbaren Melodien, deutlich erkennbar sind, reicht das bei weitem nicht aus um dieses Album gut zu charakterisieren. Hardcore-Elemente mit abgehackten stark verzerrten Gitarrenriffs, dem Schreigesang, Jazz-Elemente mit Jams ohne festgelegte Struktur, Drum 'N Bass, Elektro, Folk, Klassik ... die Liste ist endlos. Man darf aber nicht denken, daß die Songs in diese Richtungen aufgeteilt sind. Die Songs vereinen sie scheinbar mühelos. Wenig klingt hier gewollt, das meiste sehr organisch. Bei allen Freiheiten wird aber nicht vergessen, noch Hardcore im eigentlichen Sinne zu fabrizieren. Ein oder zwei Worte müssen noch zum Sänger der Band, Dennis Lyxzen gesagt werden. Es ist sicherlich Geschmackssache, ob man die Art zu singen und seine Stimme an sich mag. Da leider Refused mit Lyxzen steht und fällt, kann einem Mißfallen an ihm wahrscheinlich das ganze Album verleiden, und das aufgrund der extremen Art und Weise zu "singen" wohl mehr als bei anderen Bands, die in ihrer Wirkung nicht so sehr von ihrem Gesang abhängig sind. Das nur als Vorwarnung, denn nachfolgend sollen kurz die wichtigsten Songs auf diesem Album besprochen werden.
"They told me that the classics never go out of style but, they do, they do. Somehow baby, I never thought that we do to." So fängt der erste Song "Worms Of The Senses - Faculties Of The Skull" an. Was soll das heißen, fragt man sich da natürlich. Refused beendeten auf der folgenden Tour ihr Banddasein einvernehmlich und haben seitdem auch keine Anstalten auf eine Wiedervereinigung gemacht. Es ist also anzunehmen, daß dieser Spruch der Abgesang auf die Band ist, es also damals schon klar war, daß dies das letzte Album sein würde. Dafür sprechen auch Songtitel wie "Refused Are Fuckin Dead" und auch "The Shape Of Punk To Come" erhält in diesem Licht eine neue Bedeutung. Möglicherweise betrachteten Refused dieses Album als ihr Vermächtnis an die Hardcore-Welt oder als eine Richtung, die sie als anstrebenswert für kommende Bands erachteten. Aber genug der Interpretationen, zurück zum Song. Denn der wird durch die Textzeile "I got a bone to pick with capitalism, and a few to break" treffend beschrieben. Die Band (sozialistisch veranlagt und engagiert, zumindest damals) wütet durch den Song mit brachialer Urgewalt und stilistischer und kompositorischer Sicherheit. Am Ende des Songs ist das erste Mal eine Abweichung vom Hardcore-Schema zu entdecken, als Überleitung zum nächsten Song setzen typische Techno-Beats unterlegt mit einer scheinbaren Anmoderation aus dem Radio ein. "Liberation Frequency" fährt das Lautstärke-Level erst einmal runter und fängt ruhig und melancholisch an, führt am Ende aber doch wieder zum Ausbruch in harte Riffs. "The Deadly Rythm" ist ein weiteres Stück, das neues bringt, diesmal den Jazz. Eingeleitet mit Saxophon-Klängen und versehen mit einem geschmackvollen Kontrabaß-Jam in der Mitte verliert der Song dennoch keineswegs an Härte, eher im Gegenteil. Nach dem Elektro-Jam "Bruitist Pome #5" erreicht man dann "New Noise", das Prunkstück des Albums. Hier passt alles zusammen, einfache wirkungsvolle Riffs, aggressiver Gesang und tolles Arrangement. Mehr ist nicht zu sagen, denn die meisten kennen den Song sicherlich. Nach einigen guten eher Hardcore-getriebenen Songs folgt dann noch "Tannhäuser / Derivé", eine atmosphärische Vermischung von Violinen-Klängen und den Bandinstrumenten sowie folgendem typischen Lyxzen-Gesang. Ruhig ausklingen darf das Album dann mit "The Apollo Programme Was A Hoax", einem lagerfeuerartigen Liedchen, sehr warm und melancholisch.
Es gibt einige Gründe, dieses Album nicht zu mögen. Man verurteilt die politische Botschaft der Band, man mag Hardcore partout nicht, man mag Schreigesang nicht, man hört nur eine Musikrichtung und kommt ohne komplexe Songstrukturen nicht aus (oder das genaue Gegenteil).
Gibt man diesem Album jedoch eine Chance und lässt Vorurteile außen vor, kann (man muß nicht) sehr positiv überrascht werden und entdeckt vielleicht, daß es auch noch andere hörenswerte harte Musik gibt.
Wie bei allen Sachen, gilt aber natürlich: Über Geschmack lässt sich bekanntlich (nicht) streiten.
9/10 Punkte
Refused @ Burning Heart (Label)