LARS ULRICH: "Wir müssen das Monster bändigen" | 20.11.2017

  • Metallica Drummer Lars Ulrich
    Lars Ulrich Live 2017
    Tennisschläger oder Schlagzeug? Lars Ulrich entschied sich für die Drums und trommelt seit 1981 bei Metallica. Hier spricht er über den Tod des Bassisten, Zank, die Fans - und die Band als Biest.


    Zur Person: Lars Ulrich, geboren am 26. Dezember 1963 im dänischen Gentofte, zog 1979 mit seiner Familie nach Newport Beach bei Los Angeles und gründete mit dem Gitarristen James Hetfield zwei Jahre später Metallica. Ihr Debüt "Kill 'Em All" 1983 gilt als Geburt des Thrash Metal. Bis heute haben Metallica mehr als 110 Millionen Tonträger verkauft. Lars Ulrich hat drei Söhne aus früheren Beziehungen und lebt mit seiner dritten Frau, dem Model Jessica Miller (33), in San Francisco.

    einestages: Herr Ulrich, im Juni hat Dänemarks Kronprinz Sie mit dem Dannebrog-Orden geehrt. Hat Sie das überrascht?
    Ulrich: Und wie - ich bin jetzt Sir Lars! Nach so vielen Underdog-Jahren freue ich mich natürlich. Kronprinz Frederik nahm in San Francisco an einer Wirtschaftskonferenz teil, bei einem Dinner mit CEOs dänischer Firmen wie Lego und Bang & Olufsen wurde ich ausgezeichnet - ohne es vorher zu wissen. Bei seiner Rede sagte er, jemand im Raum habe viel für Dänemark getan. Grammys und Goldene Schallplatten sind klasse, aber ein Orden aus dem Königshaus ist noch mal was anderes.[/interview]

    einestages: Sie stammen aus einem Vorort von Kopenhagen, eine Jugend mit Tennisschlägern und Schlagzeugstöcken. Was war Ihnen näher?
    Ulrich: Beides hat mit meinem ziemlich coolen Dad zu tun. Mit jetzt 89 ist er noch topfit. Er war immer an Musik und Kunst interessiert, schrieb eine Jazzkolumne in einer Tageszeitung, führte einen Jazzclub. 1973, ich war noch keine zehn, nahm er mich mit zu einem Deep-Purple-Konzert, die Faszination für harten Rock ließ mich nie wieder los. Außerdem war mein Vater erfolgreicher Tennisprofi und spielte sogar in Wimbledon. Ich war ambitioniert. Mit 17 ging ich nach Florida und besuchte die berühmte Tennis-Akademie von Nick Bollettieri. Nach einem halben Jahr musste ich erkennen, dass acht Stunden Hardcore-Training täglich nicht mein Ding sind. Und auch, dass mein Talent nicht für die ganz große Karriere reichte. Dann wurde ich dort beim Grasrauchen erwischt und bekam richtig Ärger.

    einestages: Das war's dann mit Tennis?
    Ulrich: Ja. Im Sommer 1981 habe ich einen Trip nach England gemacht, auf den Spuren der "New Wave of British Heavy Metal". Nahe Birmingham besuchte ich meine damalige Lieblingsband Diamond Head und wohnte eine Weile bei Sänger Sean Harris und Gitarrist Brian Tatler. Ihre Band hat Metallica, neben Iron Maiden und Motörhead, am meisten beeinflusst, wir coverten später Songs wie "Am I Evil".

    einestages: Stimmt's, dass Sie in Ihrer Jugend mal einen Motörhead-Fanclub geleitet haben?
    Ulrich: Stimmt nicht. Ich war nur ein Riesenfan. Nach einem Konzert durfte ich Lemmy einmal backstage treffen und wurde sogar ins Studio eingeladen, wo die Band am "Iron Fist"-Album arbeitete. Ich war total überrascht, wie freundlich und entspannt Lemmy Kilmister, Fast Eddie und Philthy Taylor waren. Motörhead hinter den Kulissen zu erleben, inspirierte mich zu einer eigenen Band.

    einestages: Wie fanden Metallica in Los Angeles zusammen?
    Ulrich: In Südkalifornien gab es damals jede Menge akkurat frisierter Popper in pinken Poloshirts. Ich war einer der wenigen langhaarigen Metal-Freaks. Ein echter Außenseiter - wie James Hetfield. Das hat uns sofort verbunden. Bei ihm in der Garage gründeten wir im Herbst 1981 Metallica, als blutige Anfänger: Ich am Schlagzeug, James sang, Gitarre spielte kurzzeitig der Jamaikaner Lloyd Grant, am Bass war Ron McGovney. Unser erster eigener Song hieß "Hit the Lights". Lloyd wurde dann durch Dave Mustaine ersetzt, eine echte Persönlichkeit. James war der Frontmann, aber bei den ersten Gigs in L.A. noch so schüchtern, dass Gitarrist Dave die Ansagen machen musste - überall stellte er uns als seine Musiker vor. Dave war deutlich cooler als wir, aber zu oft besoffen und einfach unzuverlässig. Deshalb haben wir ihn vor unserem Debüt "Kill 'Em All" rausgeworfen und Gitarrist Kirk Hammett von der befreundeten Band Exodus geklaut.

    einestages: Warum zogen Sie dann nach San Francisco?
    Ulrich: Weil der Bassist Cliff Burton dort lebte. Ein Unikum, ein Individualist. Cliff scherte sich nie um Trends, trug statt Röhrenjeans Hippie-Hosen mit Schlag und hörte Bands wie Lynyrd Skynyrd, Thin Lizzy oder Blue Öyster Cult. Wir wollten ihn unbedingt zu Metallica holen, aber er hatte null Bock auf Los Angeles, das so einen oberflächlichen Poser-Ruf hatte. Glambands wie Mötley Crüe und Ratt benutzten Haarspray und schmierten sich Make-up ins Gesicht. In unseren Augen machten die Musik nur, um Girls flachzulegen, nicht aus Überzeugung. War nicht unser Ding. Also zogen wir um - und Cliff stieg bei uns ein.

    einestages: 1986 gelang Ihnen mit dem dritten Album "Master of Puppets" der weltweite Durchbruch, 30 Jahre später wurde es sogar als erstes Metal-Album in die Bibliothek des US-Kongresses aufgenommen...
    Ulrich: ...wer bitte hätte das je gedacht? Ich sicher nicht. Wir waren mit jedem Album gewachsen und spürten, dass "Master" gut gelungen war, wussten aber nicht, ob es sich auch besser verkaufen würde. James' Texte sind ziemlich politisch, sie handeln von Themen wie Manipulation, Betrug und Abhängigkeit, von Drogensucht, Militärgewalt und anderen dunklen Kräften. All das existiert bis heute und macht unsere Songs zeitlos, leider, muss man fast sagen.

    einestages: Wie hat Ozzy Osbourne Ihnen beim Aufstieg geholfen?
    Ulrich: Er und Sharon, seine Frau und Managerin, wählten uns als Vorband aus. Ein halbes Jahr tourten wir als Ozzys Anheizer kreuz und quer durch die Staaten. Allein schon in seiner Nähe zu sein... Nach jeder Show gab es fette Partys, Ozzy erzählte irrwitzige Anekdoten aus seiner Black-Sabbath-Zeit. Wir hatten Spaß wie nie zuvor. Erstmals sind wir in großen Arenen aufgetreten und waren vorher unsicher, ob unser Sound in Hallen mit 15- oder 20.000 Zuschauern irgendwo im Mittleren Westen überhaupt funktionieren würde.

    einestages: Auf dem ersten Höhepunkt Ihres Erfolgs starb Bassist Cliff Burton, als der Tourbus am 27. September 1986 nach einem Konzert in Stockholm verunglückte. Wie gingen Sie damit um?
    Ulrich: Auch 31 Jahre danach sprechen James, Kirk und ich noch von dieser fatalen Nacht, die Cliff das Leben gekostet hat. Da waren wir erst Anfang 20 - kein Alter, in dem du so ein tragisches Erlebnis richtig verarbeiten kannst. Die einzige Möglichkeit war weiterzumachen, so hart das auch klingen mag. Darin bestärkte uns Cliffs Vater Ray, der heute über 90 ist und noch immer gern zu unseren Konzerten kommt. Cliff werden wir nie vergessen, er bleibt für immer Teil des Metallica-Spirits.

    einestages: Ende der Achtziger wurden Alkohol und Drogen wie Kokain zum Problem für Sie. Ist das im Rock-Business programmiert?
    Ulrich: Na ja, Drogen gibt es ja nicht nur im Rock'n'Roll. Aber wir führten schon ein ziemlich verrücktes Leben. Überall lauerte die Versuchung, quasi auf dem Silbertablett serviert. Wenn du dann in deine Dreißiger kommst, die Beziehung ernster wird, du über eigene Kinder nachdenkst, realisierst du, dass sich was ändern muss. Fakt ist, dass wir alle überlebt haben. Unsere Freundschaft war stärker als die Drogen. Die wilden Partyzeiten sind lange vorbei.

    einestages: Metallica zählen zu den größten Bands der Welt - mit oft sehr kritischen Fans. Nervt Sie das?
    Ulrich: Das muss man aushalten. Zum zweiten Album 1984 stöhnten Hardcore-Metal-Fans beim Song "Fade to black": Oh Gott, eine Ballade! Konservativere Metaller warfen uns vor, den Heavy Metal zu verraten. Oder unser Video 1988 zum Antikriegslied "One": Da hieß es, wir würden uns an MTV verkaufen. Ein verärgerter Fan spuckte James sogar an. Wir bestimmen aber selbst, was wir wie machen - als Band wollen wir frei sein. Unser Ziel war immer, Vergangenes nicht zu wiederholen. Metallica denkt mehr an die Zukunft als an die Vergangenheit.

    einestages: Und wenn Sie als "gierige, reiche Rockstars" geschmäht werden?
    Ulrich: Jeder kann seine Meinung haben, aber uns ging es von Beginn an nie ums Geld. Klar haben wir durch unseren Erfolg viel verdient. Das Gute daran ist, dass uns niemand dreinreden kann. Ein Luxus, den wir uns heute gönnen: Auf Tour fliegen wir alle zwei Wochen für ein paar Tage nach Hause zu unseren Familien. Dass wir alle Kids haben, insgesamt zehn, hat der Band gutgetan, so hatten wir ein weiteres gemeinsames Thema neben der Musik. Mit der Zeit, mit dem Alter, verschieben sich die Prioritäten.

    einestages: Sie haben immer wieder Grenzen ausgetestet: Da waren schicke Brioni-Modefotos und der Napster-Konflikt um kostenlose Downloads, das experimentelle "Lulu"-Album mit Lou Reed und der Lady-Gaga-Auftritt bei den Grammys. Bereuen Sie etwas davon?
    Ulrich: Wir mussten für manche Entscheidungen Prügel einstecken, aber jede fühlte sich richtig an. Mit Lou Reed Musik aufzunehmen, gehört zu den wertvollsten Erfahrungen meines Lebens. Die Arbeit mit Lady Gaga war absolut fantastisch, sie ist ein echter Metalhead. Ich bereue nur diese weiße Lederjacke, in der ich in den Neunzigern unterwegs war, und vielleicht ein paar alberne Frisuren (lacht).

    einestages: Der Film "Some Kind of Monster" dokumentierte die Therapie der Band. Ist sie denn das - ein Biest?
    Ulrich: Kommt hin. Metallica ist ein Monster, das lebt und atmet, das wir kontrollieren müssen, ja, bändigen. James, Kirk, Rob und ich steuern diese Maschine. Manchmal gelingt uns das, manchmal geht das Ding mit uns durch, und wir können uns nur daran festzuhalten und sehen, wohin es treibt (lacht).

    einestages: Seit drei Jahrzehnten ist das Metallica-Hauptquartier in San Francisco. Jetzt ist "Papa Het" mit seiner Familie nach Colorado übergesiedelt - ein Bruch in der Band?
    Ulrich: Sicher nicht. Heute zanken wir uns kaum noch. Früher haben wir erbittert darum gekämpft, eigene Ideen durchzusetzen. Das ist vorbei. Wir sind dann doch irgendwie erwachsener geworden. James ist der Mensch, mit dem ich die letzten 35 Jahre die engste Beziehung gehabt habe. Er kennt mich besser als jeder andere. Ich liebe ihn wie einen Bruder. Sein Umzug: Ihm passten wohl die Nachbarn nicht mehr, zu versnobt. Und James ist bei denen mit seiner Leidenschaft für PS-starke Autos und das Jagen angeeckt. Für mich bleibt San Francisco aber die coolste Stadt Amerikas, auch die europäischste. Wahrscheinlich fühle ich mich dort als Europäer deshalb so zu Hause.

    einestages: Sie rockten 1991 in Moskau vor fast einer Million Zuschauern, spielten mit Lemmy, Jimmy Page, Lou Reed und einem Riesenorchester, Sie traten in der Antarktis auf und drehten 2013 einen Kinofilm. Sind überhaupt noch Herausforderungen übrig?
    Ulrich: Relevant bleiben, und vor allem: gesund bleiben. In den Konzerten erleben viele junge Fans Metallica zum ersten Mal live. Die Hälfte war noch lange nicht geboren, als wir die Band gründeten. Die alle wollen wir noch 10 oder 20 Jahre begeistern. Sollte Metallica eines fernen Tages nicht mehr existieren, mache ich keine Musik mehr, dann beschäftige ich mich mit Film, mit Fotografie und Kunst. Das Fotografieren liebe ich besonders. Habe ich wohl von meiner Mutter geerbt, sie war Fotografin. Meine Frau Jessica Miller ist Model, wenn ihre Agentur neue Bilder von ihr braucht, schieße ich die.

    Quelle: Alex Gernandt / Spiegel

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